1981 – 1988: Der Fall Müller und die unendliche Geschichte

Josef Felix Müller hätte eigentlich an der Ausstellung Fri Art 81 ausstellen sollen. Er wurde von Olga Zimmelova eingeladen und kam – wie die anderen Künstler:innen – zu einem Ortsbesuch, um sich vom Gebäude des Grand Séminaire inspirieren zu lassen. Dafür hatte er drei Nächte in den drei Zellen, die ihm zur Verfügung gestellt wurden, verbracht und darauf drei Malereien geschaffen, die er mit Drei Nächte, drei Bilder (Trois nuits, trois images) betitelte. Allerdings wurden diese Bilder nie ausgestellt, sondern bereits vor der Vernissage von der Kantonspolizei konfisziert und über zahlreiche Jahre im Museum für Kunst und Geschichte Fribourg gelagert. Der Grund für diese Konfiszierung war der als obszön geltende, erotische Charakter dieser Bilder. Für viel Gesprächsstoff sorgte vor allem der Verweis einer der Malereien auf die Szene, in der Christus vom Kreuz genommen wird. Der Künstler hatte bereits in der Vergangenheit diese Art von Bildern mit zum Teil verstörenden Motiven gemalt, da sie seiner Meinung nach den “Menschen” in seinem primitiven Zustand, in dem er sich seinen Instinkten hingibt, symbolisieren.
Nach der Beschlagnahmung der Bilder wurden die Organisator:innen wegen der Veröffentlichung obszöner Darstellungen zu einer Busse von je 300 Franken verurteilt. Im März 1982 beschlossen die Organisator:innen mit Unterstützung von Rechtsanwalt Bernard Bonvin, Berufung einzulegen. Dieser argumentierte zu ihren Gunsten, dass es sich nicht um obszöne Bilder handelte, da sie nicht wie Pornografie eine gewinnbringende Funktion hätten, sondern eine Rückkehr zum primitiven Leben zeigten. Er betonte insbesondere, dass das an Christus erinnernde Bild keinen Zusammenhang mit der Abnahme vom Kreuz habe. Der Staatsanwalt Joseph Daniel Piller hingegen wollte die Absichten des Künstlers gar nicht hören. Was seiner Meinung nach zählte, war der Eindruck, den diese Bilder bei den Durchschnittsbürger:innen hinterliessen, die Müllers frühere Werke nicht kannten.
Josef Felix Müllers enger Freund Paul Rechsteiner nahm den Fall zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf. Am 13. Dezember 1983 reichte er eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Strassburg ein. Im Jahr 1985 erklärte diese die Beschwerde Müllers und der anderen für zulässig und der Fall wurde an das Ministerkomitee des Europarats und die Schweizer Regierung weitergeleitet. Im Jahr 1987 schlug das Bundesamt für Justiz folgende Vereinbarung vor: Die Rückgabe der Bilder an Müller und die Erstattung der Kosten im Austausch gegen den Verzicht, den Fall vor dem Europäischen Gerichtshof weiterzuverfolgen. Die Angeklagten lehnten ab und die Anhörung vor dem Strassburger Gericht wurde für den 25. Januar 1988 angesetzt. Fünf Tage vor der Anhörung entschied das Strafgericht des Saanebezirks: “Das Gericht ist der Meinung, zugegebenermassen nicht ohne gewisses Zögern, dass heute die Massnahme [der Beschlagnahmung der drei Gemälde] aufgehoben werden kann, eine Massnahme, die, das muss betont werden, nicht unbegrenzt war, sondern nur zeitlich unbestimmt, was Raum für einen Antrag auf erneute Überprüfung liess.” Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, das Urteil des Schweizer Gerichts zu belassen, da die Beschlagnahme aufgehoben worden war. Die Schweizerische Eidgenossenschaft rettete somit ihre Ehre. Die Gemälde wurden zurückgegeben, aber die Beschwerdeführer:innen blieben wegen Obszönität verurteilt. Weder die Geldstrafe noch die Prozesskosten wurden ihnen zurückerstattet. Der Fall dauerte acht Jahre. Walter Tschopp, ein Hauptorganisator der Ausstellung Fri Art 81, der den Künstler während dieser Jahre unterstützte, berichtet über den Fall in der Ausgabe 212 von Pro Fribourg, die als Ausstellungskatalog dient.
Text veröffentlicht im Rahmen der Ausstellung Friart ist aus einem Vakuum heraus entstanden. Geist einer Kunsthalle, MAHF Museoscope, (27.08 - 17.10.2021).