Relationale Ästhetik in der Friart

Esthétique relationnelle image

Das Kreieren von intersubjektiven Räumen war seit Beginn der 90er Jahre ein zentraler Ansatz der zeitgenössischen Kunst. Der Mensch rückt in den Vordergrund und wird essenzieller Teil des Kunstwerks, die Kunst wird ins Leben integriert. Nicolas Bourriauds Theorie der relationalen Ästhetik aus dem Jahr 1998 bezieht sich auf diesen “Wendepunkt” und untersucht Ansätze der Kunst bzw. die Veränderung der Kunstpraktiken in den 90er Jahren. Diese Theorie beurteilt Kunstwerke auf der Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen, die sie [die Kunstwerke] darstellen, produzieren und hervorrufen. Relationale Kunst entsteht somit nicht in einem unabhängigen und privaten Raum, denn ihr Fokus liegt theoretisch, wie auch praktisch, auf der Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und ihrer sozialen Kontakte. In diesem Rahmen sind in der Friart mehrere bedeutende Momente auszumachen. Contacts und Urban Rumours fanden anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Kunsthalle im Jahr 2000 statt. Über das Jahr hinweg wurden damals vier Ausstellungen bzw. Veranstaltungen organisiert, die einen Überblick über die damalige zeitgenössische Kunstlandschaft geben und sie gleichzeitig befragen sollten, wozu externe Kuratoren eingeladen wurden: Vier États des Lieux. Contacts, kuratiert von Nicolas Bourriaud, eröffnete die États des Lieux #1 und untersuchte aus soziologischer Sicht den aufstrebenden, informellen Wirtschaftssektor, auch Wissenssektor genannt. Gegenseitiger Austausch, massgeschneiderte Dienstleistungen, DIY und Hausarbeit finden ausserhalb des kommerziellen Herstellungsprozesses statt. Sie erschaffen dadurch ein paralleles Wirtschaftsfeld und somit auch neue Formen der sozialen Beziehungen. 

Im Kontext der “Esthétique Relationnelle” haben diverse Künstler:innen in ihren Arbeiten neue Kommunikationsmittel präsentiert. Die Kommunikation war auch bei dem “Ausstellungs-Event” Urban Rumours zentral. Bei Urban Rumours handelte es sich um eine spezielle Veranstaltung zur Finissage der Ausstellung États Lieux #2: Eine kritische Konferenz über das Stadtgerücht, kuratiert von Hans-Ulrich Obrist. Motiviert durch Inputs von Dominique Gonzalez-Foerster, kristallisierte sich im Gespräch mit Paolo Fabbri im Jahr 1999 über das Gerücht Valerio heraus, dass die Partizipation [von Menschen] zentral und gleichzeitig die Zukunft der Kunst ist. Ohne die Partizipation würde ein Gerücht schnell verstummen. Die Zentralität der Partizipation wurde schon in der Zone de Tournage von Dominique Gonzalez-Foerster aus dem Jahr 1996, eine Gewitterzone, ein Aufnahmeort, eine Ton-und Lichtzone, deutlich. Die Besucher:innen waren Teil einer raumkreierenden Installation, indem sie abwechslungsweise zu Protagonist:innen und Zuschauer:innen wurden. Durch die Gegenüberstellung mit Renée Greens parallel stattfindenden Ausstellung Flow wurde die Beziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre thematisiert. Die Partizipation im erweiterten Ausstellungsraum wurde 2001 bei Surasi Kusolwongs Everything 2 SF (Money Minimal) noch erweitert, als die Kunsthalle zu einer Art Verkaufsplattform wurde. Alltagsgegenstände, importiert aus Kusolwongs Herkunftsort Ayutthaya, wurden zum Einheitspreis von zwei Schweizer Franken angeboten. Einerseits steht in diesem Werk der Alltag im Vordergrund und andererseits wird die Konsumgesellschaft und der Kunstmarkt hinterfragt. Sowie der Markt [Kunstmarkt] seine Kundschaft braucht, so zentral sind folglich die Rezipient:innen in der Theorie der relationalen Ästhetik bzw. der relationalen Kunst.

Text in Zusammenarbeit mit Désirée Gross, veröffentlicht im Rahmen der Ausstellung Friart ist aus einem Vakuum heraus entstanden. Geist einer Kunsthalle, MAHF Museoscope, (27.08 - 17.10.2021).

Quellen: Nicolas Bourriaud, Esthétique relationnelle, Dijon: Les presses du réel, 1998.