1993: Die Ausstellungen von David Hammons und Jimmie Durham

1993: Die Ausstellungen von David Hammons und Jimmie Durham
“Je mehr diese Art von Arbeiten in der Schweiz zu sehen ist, desto besser: besonders in einem Klima des Unverständnisses und der ethnischen Intoleranz, die sich Tag für Tag in unserer Gesellschaft manifestiert.” (Brief von Marc Jancou an Michel Ritter, 1993.)
Diese Worte des schweizer Galeristen Marc Jancou an Michel Ritter, im Anschluss an die Ausstellung in der Kunsthalle Friart im Sommer 1993, klingen wie eine notwendige Erkenntnis. Zum Einen ist der Kanon der Kunstlandschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts noch immer auf die Konturen Europas und Nordamerikas beschränkt, und zum Anderen ist dies ein Versuch, diversere Ausstellungen in der Friart zu organisieren. Im Jahr 1993 stellt der New Yorker Künstler David Hammons, obwohl er seit den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten bereits wohlbekannt ist, zum ersten Mal in der Schweiz in der Kunsthalle Friart aus. Er stellt seine Arbeiten neben jenen des Künstlers Jimmie Durham, der im American Indian Movement aktiv war, und denen des portugiesischen Künstlers Pedro Cabrita Reis aus. Die Anerkennung dieser drei Künstler in der internationalen Szene ist auf die Auswirkungen der Documenta IX in Kassel zurückzuführen, eine Ausstellung, die alle 5 Jahre eine Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Kunst vornimmt und in der Regel einen grossen Einfluss auf zukünftige Tendenzen hat.
Friart stellte die Arbeiten dieser Künstler in Zusammenarbeit mit der 10. Ausgabe des Belluard Bollwerk Festivals aus, das in jenem Jahr vom belgischen Kurator Cis Bierinckx geleitet wurde. Die Ausgabe von 1993 ist insofern bedeutungsvoll, als dass sie Künstler:innen aus insgesamt 18 verschiedenen Ländern vereinte und zum ersten Mal das Prädikat “international” anstrebte. Die Zusammenarbeit zwischen dem belgischen Kurator und Michel Ritter führte zu präzisen Interventionen von drei Künstlern mit ihren jeweiligen Kulturen und künstlerischen Prozessen.
David Hammons reiste über eine Woche vor Ausstellungseröffnung nach Fribourg. Er ist von der reinen Luft dieses Ortes fasziniert und lässt diese Thematik in den Werken, die er vor Ort erstellte, einfliessen. Er versucht über die Objekte hinaus eine Atmosphäre zu kreieren und öffnet den Ausstellungsraum und die weissen Mauern – die üblicherweise den Besucher:innen vorbehalten sind – für die Vögel, die durch die grossen Öffnungen der Fenster eindringen und die Katzen, die sich in den Räumen herumtreiben.
Ausgehend von den Interventionen, die symbolisch aufgeladene, gefundene Objekte beinhalten, verbindet Hammons’ Praxis Kultur mit Politik. Der Künstler steht in der Schwarzen Kunsttradition Amerikas, die das Ausstellungsformat dezentriert und kritisiert. Obwohl er sich in einem ganz anderen künstlerischen Prozess bewegt als Hammons, verfolgt Jimmie Durham einen ähnlich kritischen Ansatz. Er beschwört die Ungerechtigkeit der Kolonialisierung mittels heterogener Assemblagen herauf und stellt markante Objekte seiner Kultur den repressiven Elementen der weissen Zivilisation gegenüber. Der Künstler stellte ein Werk spezifisch für diese Ausstellung her, das sich an die Einwohner:innen von Fribourg richtete und diese als Zeug:innen nahm: “Liebes Volk…”
Die künstlerischen Praxen, die sich mit Fragen zu Postkolonialismus und Rassismus beschäftigen, sind eine strukturelle Kritik des Kunstfeldes und lösen die zugewiesenen Auffassungen von Identität auf.
Text in Zusammenarbeit mit Léa Depestel, veröffentlicht im Rahmen der Ausstellung Friart ist aus einem Vakuum heraus entstanden. Geist einer Kunsthalle, MAHF Museoscope, (27.08 - 17.10.2021).