Mark Dion: Nos Sciences Naturelles, 1992 – Unseen Fribourg, 1995

Georges Perec beschreibt in seinem Werk mit dem Titel “Denken/Ordnen” die Besessenheit der westlichen Gesellschaft, die Welt auf eine von der Logik erlassene Ordnung zu reduzieren. (Pressemappe, Unseen Fribourg, 1995)
Im Jahr 1992 wurde der New Yorker Künstler Mark Dion zum ersten Mal von Friart zur Gruppenausstellung Nos Sciences Naturelles eingeladen. Wie der Titel bereits vermuten lässt, fasst die Ausstellung die Naturwissenschaften als verschiedene, im Zeichen der Kollektivität geschaffene Narrative auf. Mark Dion stellt in diesem Rahmen das Vermögen des Museums, die Welt zu repräsentieren, in Frage. Seine Recherche ist mit dem Brechtschen Ansatz zu vergleichen, nach dem eine Fotografie einer Fabrik nichts über die politische, sozio-ökonomische oder psychologische Realität der durch die Industrie ausgebeuteten Personen aussagen kann, auch wenn ein unmittelbarer Lichtabdruck effektiv mit diesen Realitäten in Kontakt gewesen ist. Auf eine ähnliche Weise kann eine ökologische Studie nicht mehr als eine Facette einer messbaren und kalkulierbaren Realität wiedergeben. Die Methode der Fotografie wird hier also durch die Methode der Wissenschaft ersetzt.
Seine Installation Observation of Neotropical Vertebrates (dt. Beobachtungen von neotropischen Wirbeltieren) zeigt – anstelle von Forschungsresultaten – den Forschungsprozess selbst. Auf einem ausgedruckten Fax sind Namen von ausgestopften Wirbeltieren aufgelistet, was einzig zu verstehen gibt, dass eine Beobachtung stattgefunden hat. Mark Dions wissenschaftlich-künstlerischer Blick ist ein bestimmter und deshalb auch ein in seiner Auffassung limitierter. Ebenso beschränkt die Institution den Blick der Besucher:innen im Rahmen der Ausstellung, und so werden nur jene ausgestopften Tiere gezeigt, die im Bestand des naturhistorisches Museums aufgeführt sind. Die ausgestellten Faxe ermöglichen es, dem, was bei der Vermittlung von Wissenschaft und Kultur unsichtbar gemacht wird, eine Form zu geben. Was ist dem Blick des Künstlers und Forschers in Brasilien wohl noch entgangen? Und was wird der Öffentlichkeit vorenthalten?
Im Jahr 1995 eröffnet Unseen Fribourg, Mark Dions erste Einzelausstellung in der Schweiz. Er stellt eine formale Trennung zwischen natürlichen Fakten (fotografierte Tiere) und kulturellen Fakten (menschliche Spuren auf der Erde) auf, um das Publikum über unsere Auswirkungen auf die Umwelt zum Denken anzuregen. Um Material für einen diskursiven Raum zu schaffen, ist auch hier kein Resultat ausgestellt, sondern die Historisierung des dokumentierten Rechercheprozesses selbst. Die Ästhetik des Denker-Klassifizierers wird also zur Darstellung der Dekodierung und Klassifizierung der Realität benutzt. Unseen Fribourg lädt nicht nur dazu ein, unsere Beziehung zur Realität zu reflektieren, sondern vielmehr, die Art und Weise neu zu denken, wie wir unsere eigene Realität konstruieren und inwiefern die Spuren der Vergangenheit unsere kollektive (lokale, nationale, globale) Zukunft ausmachen.
Die Methode von Mark Dion findet Echo im Prozess unserer Ausstellung, die der Geschichte der Kunsthalle Friart eine Materialität zu geben versucht. Wir präsentieren Objekte, die wir nur beschreiben können und stellen diese in einen Kontext mit Geschichten, die anderswo erzählt werden: eingeschrieben in der Kunstgeschichte oder den Geschichten der Menschen, die die Kunsthalle erlebt haben und erleben. Und wie es in jedem Forschungsnarrativ so ist, geht ihm die Idee voraus, dass es bereits eine Geschichte der Kunsthalle Friart vor unserer Beteiligung an ihrer Niederschreibung gab. Oft fehlen uns die Worte, der Raum und die Zeit, um Dinge auszudrücken, die uns vorausgegangen sind, beziehungsweise uns überleben werden.
Text in Zusammenarbeit mit David Meszes, veröffentlicht im Rahmen der Ausstellung Friart ist aus einem Vakuum heraus entstanden. Geist einer Kunsthalle, MAHF Museoscope, (27.08 - 17.10.2021).