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Olga Balema
The bizarre space of complex numbers

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Olga Balema, Computer, detail view, 2021

Olga Balemas Werk betrachtet skulpturale Form als etwas Offenes, Wandelbares und Prozesshaftes. Es betont die Bezogenheit von Skulptur auf äussere, unkontrollierbare Faktoren, aber auch auf sich selbst, ihre innere Logik und Zeitlichkeit. In jüngerer Zeit sucht Balema nach Wegen, um Arbeiten zu schaffen, die aus sich selbst und der eigenen Funktionsweise schöpfen können, sowie nach der Möglichkeit, durch Wiederholung und Rekonfiguration etwas Neues entstehen zu lassen. In diesem Geist präsentiert sich The bizarre space of complex numbers, Balemas Ausstellung in der Kunsthalle Friart Fribourg, als eine Art Rückkehr der Künstlerin zu existierenden Arbeiten, die für den Ort rekonfiguriert und modifiziert werden. Die Arbeiten besetzen horizontale und schiefe Ebenen, als würden sie sich der Idee von skulpturaler Monumentalität bewusst entgegensetzen und stattdessen von unten oder aus einer Schieflage agieren.

Balemas fortlaufende Arbeit mit elastischen Bändern ist von einer spärlichen Materialität gekennzeichnet, sodass sie je nach Lichteinfall und Hintergrund fast verschwindet. Die Arbeit ist genauso provokant wie sensibel, denn Form entsteht hier fast wie aus dem Nichts und aus einer wiederholten Geste heraus. Reicht eine Linie, um plastische Form zu definieren? Was hier offenbar wird ist das Gefühl, dass sich eine Form auch durch einen Mangel und ein Defizit ankündigen kann, manchmal mehr als durch etwas anderes. In all ihrer Kargheit strahlt die Arbeit eine frappierende physische Fragilität aus; einmal sind ihre Bänder fast bis zum Zerreissen straff gespannt, ein anderes Mal hängen sie schlaff, scheinbar erschöpft und formlos herunter. Einige bilden ein rigides System, andere scheren aus und scheinen etwas Dysfunktionales, Hinkendes anzudeuten – daran erinnernd, dass Balema immer wieder Titel verwendet, die die Störanfälligkeit des Körpers und der Psyche beschreiben. Der philosophische Begriff der „Plastizität“ schwingt hier ebenfalls mit: Genauso wie das Material fähig ist, sich dramatisch auszudehnen und anzupassen, besitzt die Arbeit selbst eine inhärente Adaptionsfähigkeit. 

Die Arbeit Computer, die aus Hunderten von zerschnittenen und wieder zusammengefügten Fragmenten einer PVC-Plane besteht, weist Markierungen und Spuren von wiederholtem, starkem Verschleiss auf. Sie deuten darauf hin, welchen Einflüssen die Arbeit über die Zeit hinweg ausgesetzt war und wie sich zeitliche Dauer physisch bemerkbar macht – so hat Balema etwa eine Reihe an Frottagen auf der Arbeit vollzogen, die von Bürgersteigen in der Nähe ihres Studios stammen, und über die Zeit häufen sich Fussspuren auf der Arbeit an. Auf der Oberfläche breitet sich auch das wiederholte Zitat eines Teppichmotivs mit verwitterten, schwebenden Gingko-Blättern auf blauem Wasser aus, was den Eindruck von kompositorischem Rhythmus schafft. Die Arbeit zeigt die Auswirkungen von Verwitterung und Zerfall, hält ihnen aber zugleich ein erschaffendes, aufbauendes Prinzip und etwas Konstruktiveres entgegen: Durch wiederholte Prozesse des Verbindens – des Verklebens und Vernähens –, gelangt Balema zu etwas Ganzheitlichem, in dem Disparatheit zu einer Gleichzeitigkeit wird.

Balemas Arbeit weist eine ausgeprägte Fähigkeit auf (zumindest in einem metaphorischen Sinn), aus dem, was auseinandergefallen oder zerbrochen ist, eine integrative, vielleicht sogar versöhnliche skulpturale Form zu schaffen. Ihre Formulas-Arbeiten bestehen aus kleinen Polyurethanschaum-Splittern und eingefärbtem Latex. Ähnlich wie Latex die doppelte Funktion übernimmt, intimen Körperkontakt zu ermöglichen und gleichzeitig abzuschirmen und vor Krankheit zu schützen, deutet die Arbeit eine schwierige Gleichzeitigkeit von Berührung und Trennung an: Latex ist hier sowohl die Substanz, die die Splitter zusammenhält, als auch die Farbe, die die Zerbrochenheit betont. 

The bizarre space of complex numbers verweist im Titel auf eine Funktion in der Mathematik, mit der sich die Dinge gleichzeitig in multiplen Daseinszuständen beschreiben lassen. Balemas Arbeit, so sehr sie auch damit befasst ist, Strukturen aufzubauen, weiss sehr wohl um das hinkende, dysfunktionale und amorphe Prinzip, das in einer auf Rationalität getrimmten Welt im Gange ist.

Im Rahmen der Ausstellung lädt die Kunsthalle Friart Fribourg die Kuratorin Matilde Guidelli Guidi (Dia Art Foundation, New York) und die Kunsthistorikerin Charlotte Matter (Universität Basel) ein, Vorträge zum Werk von Olga Balema zu halten. Die Veranstaltung findet im Januar 2026 statt – mehr Informationen werden in Kürze auf der Website publiziert.

Die Ausstellung wird von Kathrin Bentele, der neuen künstlerischen Direktorin der Kunsthalle Friart Fribourg, kuratiert und wurde von Nicolas Brulhart initiiert.

Olga Balema (geb. 1984 in Lwiw, Ukraine) lebt und arbeitet in New York.

CURATION

Kathrin Bentele

SOUTIENS
  • Staat Freiburg
  • Loterie Romande
  • Agglomeration Freiburg
  • Stadt Freiburg
  • BCF I FKB
  • Fondation Philanthropique Famille Sandoz
  • Landis & Gyr Stiftung

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Eröffnung
Olga Balema: The bizarre space of complex numbers

Wir freuen uns, Sie von 17 bis 21 Uhr zur Eröffnung von Olga Balema’s Ausstellung The bizarre space of complex numbers in der Kunsthalle Friart Fribourg zu begrüssen! Um 18.30 Uhr finden folgende Ansprachen statt: – Laurent Dietrich, …
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